Bindungswirkung beim Berliner Testament

Aktuelle Rechtsprechung

Das Berliner Testament- schnell errichtet, jedoch mit oft unbekannten Rechtsfolgen

Viele kennen den Begriff des „Berliner Testaments“. Es bezeichnet eine besondere Form des gemeinschaftlichen Testaments unter Ehegatten, mit dem sich diese gegenseitig zu Alleinerben und einen Dritten zu einem Schlusserben nach dem Tod des Letztversterbenden einsetzen.

Rechtsfolge Bindungswirkung
Die weitreichende Auswirkung, die ein solches Ehegattentestament haben kann, ist jedoch oftmals nicht bekannt.
Nach dem Tod eines Ehegatten tritt eine Bindungswirkung bezüglich solcher Verfügungen ein, die die Eheleute „wechselbezüglich“ getroffen haben.
Wechselbezüglich bedeutet, dass ein Ehegatte gerade deshalb eine Verfügung trifft, weil der Ehepartner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat.
Im Testament kann bestimmt werden, ob eine derartige Wechselbezüglichkeit, die die Bindungswirkung der Verfügung nach dem Tod eines der Ehegatten zur Folge hat, gewollt ist oder nicht.
Soweit in einem Testament keine ausdrücklichen Anordnungen zur Wechselbezüglichkeit enthalten sind, ist der Wille der Testierenden im Wege der Auslegung zu ergründen.
Soweit Zweifel verbleiben, gilt die Vermutung für eine Wechselbezüglichkeit. Solange beide Ehegatten noch leben, können sie auch die wechselbezüglichen Verfügungen gemeinsam ändern. Auch ein einseitiger Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen durch einen der Ehegatten ist dann noch möglich, dieser ist jedoch notariell zu beurkunden und dem anderen Ehegatten zuzustellen.
Nach dem Tod eines Ehegatten können die Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament jedoch dazu führen, dass der überlebende Ehegatte daran gehindert ist, wirksam ein von dem gemeinschaftlichen Testament abweichendes Einzeltestament zu errichten. Darüber hinaus können auch lebzeitige Schenkungen durch den überlebenden Ehegatten Einschränkungen unterliegen.

Beispielsfall 1: OLG München – Unwirksames Einzeltestament wegen des Verstoßes gegen die Verfügungen eines vorherigen Berliner Testaments
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 28.03.2011 (Az Wx 93/10) verdeutlicht die Auswirkung eines Berliner Testaments:
Frau B verstarb im Jahr 2009 kinderlos. Mit ihrem bereits im Jahr 1983 verstorbenen Ehemann hatte sie im Jahr davor, d.h. 1982, ein gemeinsames Testament errichtet, in welchem sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben und die zwei Kinder des Ehemanns aus dessen erster Ehe zu Schlusserben eingesetzt hatten.
Im Jahr 2007, also zwei Jahre vor ihrem eigenen Tod und 24 Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes, erbt Frau B von ihrem Bruder ein erhebliches Vermögen.
Jetzt wollte sie, dass dieses Vermögen nach ihrem Tode ihre Nichte bekam.
Sie setzte in einem neuen Testament ihre Nichte zu ihrer Alleinerbin ein. Nach ihrem Tod stritten die Kinder des Ehemanns und die Nichte der Erblasserin um die Erbfolge.
Das Gericht stellte fest, dass das letzte Testament unwirksam war, weil es gegen das bindend gewordene Berliner Testament der Eheleute aus dem Jahr 1983 verstieß.
Die Kinder des Ehemanns hatten damit alles geerbt und zwar auch das Vermögen, das die Erblasserin von ihrem eigenen verstorbenen Bruder geerbt hatte.

Beispielfall 2: OLG Hamm – Erbeinsetzung im gemeinschaftlichen Testament kann lebzeitige Schenkungen einschränken
Grundsätzlich hindert ein gemeinschaftliches Ehegattentestament, mit dem sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Vollerben einsetzen und einen Dritten als Schlusserben des Letztversterbenden bestimmen, den überlebenden Ehegatten rein tatsächlich nicht, zu seinen Lebzeiten Schenkungen vorzunehmen.
Der verbindlich eingesetzte Schlusserbe kann jedoch für den Fall, dass er durch Schenkungen des überlebenden Ehegatten in seiner Erberwartung beeinträchtigt ist, unter weiteren Voraussetzungen nach dem Tod des zuletztverstorbenen Ehegatten die Herausgabe der Schenkungen von dem Beschenkten verlangen. Weitere Voraussetzung neben der objektiven Beeinträchtigung ist die Benachteiligungsabsicht des überlebenden Ehegatten. Es ist zu prüfen, ob der überlebende Ehegatte ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung hatte.
Dies hatte das Oberlandesgericht Hamm in dem seinem Urteil vom 12.09.2017 (Az. 10 U 75/16) zu Grunde liegenden Fall zu prüfen.
In dem streitgegenständlichen Fall hatten sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt und ihren Sohn (den Kläger) zum Schlusserben des längstlebenden Ehegatten.
Nach dem Tod der Mutter lernte der Vater des Klägers seine Lebensgefährtin (nachfolgend Beklagte) kennen, mit der er in dem Zeitraum von 2010 bis zu seinem Tod im Jahr 2014 in einem Haushalt zusammenlebte.
In der Folgezeit übertrug der Vater (nachfolgend Erblasser) der Beklagten verschiedene Vermögensgegenstände im Wert von ca. 222.000 €. Aus diesen erhielt die Beklagte zusätzlich Dividenden i.H.v. 23.500 €.
Weitere Zuwendungen erhielt die Beklagte durch Barabhebungen in einer Größenordnung von 50.000 € aus dem Vermögen des Erblassers.
Nach dem Tod des Erblassers verlangt der Kläger von der Beklagten die Herausgabe der Vermögenswerte.
Die Beklagte argumentierte, die Zuwendungen seien als Dankbarkeit für und zur Sicherstellung der intensiven Pflege des Erblassers erfolgt.
Das Oberlandesgericht Hamm gab dem Kläger Recht, die Beklagte wurde zur Herausgabe der lebzeitigen Zuwendungen verurteilt.
Nach Ansicht des OLG Hamm beeinträchtigen die Zuwendungen den Kläger und ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers habe nicht vorgelegen.
Nach dem Tod der Mutter habe der Erblasser die Einsetzung des Klägers als Schlusserbe beachten müssen, da dessen Erbeinsetzung auf einer wechselbezüglichen Verfügung beider Ehegatten beruhe.
Nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten sei der überlebende Erblasser daran gebunden gewesen.
Der Erblasser habe auch mit Benachteiligungsabsicht gehandelt. Orientiert am Schutzzweck des Gesetzes seien an das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht nur geringe Anforderungen zu stellen, wobei die Gesamtumstände des Einzelfalls gegeneinander abgewogen werden müssten. In dem Streitfall war beispielsweise berücksichtigt worden, dass die Beklagte in vollem Umfang freie Kost und Logis vom Erblasser erhalten hatte sowie auf Kosten des Erblassers mit ihm gemeinsam gereist ist.

Zusammenfassung

Ungewollte Rechtsfolgen vermeiden
Ein gemeinschaftliches Ehegattentestament mit gegenseitiger Erbeinsetzung und Schlusserbenbestimmung, auch Berliner Testament genannt, ist schnell errichtet und besteht gegebenenfalls nur aus zwei Sätzen.
Den Ehegatten ist oftmals jedoch nicht bewusst, dass sie sich mit dieser einfachen Bestimmung hinsichtlich ihrer Verfügungsbefugnis nach dem Tod des Erstversterbenden sehr einschränken können.
Zum einen können lebzeitige Schenkungen durch den überlebenden Ehegatten unter Umständen nach dessen Tod von einem beeinträchtigten Schlusserben zurückgefordert werden. Zum anderen können testamentarische Verfügungen des überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden, beispielsweise weitere Testamente, durch die die in dem gemeinschaftlichen Testament bedachten Schlusserben beeinträchtigt werden, unwirksam sein.
Diese Rechtsfolgen entsprechen zumeist nicht dem Wunsch der Ehegatten, die sich über diese Auswirkungen bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments keine Gedanken gemacht haben.

Ausdrückliche Regelung im Testament
Im Testament können die Eheleute ausdrücklich vereinbaren, dass diese Beschränkungen nicht gelten sollen oder nur eingeschränkt.
Damit das Testament nicht ausgelegt werden muss, sollte klargestellt werden, ob und in welchem Umfang der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden Verfügungen durch lebzeitige Schenkungen und Verfügungen durch anderweitige testamentarische Verfügungen vornehmen darf. Allein die in der Praxis häufig genutzte Bestimmung, dass „der überlebende Ehegatte zu Lebzeiten frei verfügen darf“, ist hingegen nicht ausreichend. Auch dieser Satz ist auslegungsbedürftig, da nicht deutlich zum Ausdruck kommt, ob der überlebende Ehegatte auch ein abweichendes Testament errichten darf.
Bevor Sie ein gemeinschaftliches Testament aufsetzen, auch wenn dies inhaltlich nicht kompliziert scheint, sollten Sie sich rechtlichen Rat einholen. Es werden viele Muster angeboten, die eine individuelle Beratung jedoch nicht ersetzen können.

Regelmäßige Überprüfung der Aktualität
Darüber hinaus sollten Sie in regelmäßigen Abständen überlegen, ob die getroffenen Vereinbarungen in einem Testament auch noch tatsächlich Ihrem aktuellen Willen entsprechen oder sich in der Zwischenzeit Änderungen ergeben haben, beispielsweise bezogen auf persönliche Beziehungen zu bedachten Personen oder Ihren Vermögensverhältnissen.
Ist der Ehegatte bereits vorverstorben und eine Bindungswirkung eingetreten, kann geprüft werden, ob es möglich und sinnvoll ist, diese Bindungswirkung aufzuheben.
In bestimmten Fällen kommt beispielsweise eine Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments in Betracht oder die Ausschlagung des eigenen Erbteils nach dem erstversterbenden Ehegatten, um die eigene Verfügungsmöglichkeit wiederzuerlangen.